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Journalistbegleithund Sunny: Warten muss man auch können!Leseprobe Kapitel 1: Insel meiner Jugend

Mmmh, wie das wieder duftet. So verführerisch... Es gibt nichts Besseres als ein gammeliges Mettbrötchen. Ein Happs und es wäre weg. Aber leider darf ich ja nicht. Nicht jetzt. Bin nämlich gerade hochkonzentriert beim Arbeiten. Ja, ich habe Berufserfahrung. Was bedeutet, dass ich jetzt keine Mettbrötchen fressen kann.

Ach ja, ich hab’ mich noch gar nicht vorgestellt: Ich heiße Sunny of Great Pleasure und bin eine waschechte Blondine in den besten Jahren. Ich habe sogar meine gute Figur gehalten, obwohl mir gerade dieser Aspekt des Lebens überhaupt nicht wichtig erscheint. Da legt eher mein Frauchen Wert darauf. Leider.

Ich wohne an einem großen See, in dem ich so oft wie möglich zu schwimmen pflege. Soweit zum Thema ‚Waschen’. Aber das wollte ich hier eigentlich gar nicht erzählen. Erzählen wollte ich euch, was ich neulich erlebt habe: Wir, also mein Frauchen und ich und eine Freundin des Frauchens, wir haben einen Ausflug gemacht und sind mit einem ‘taxi’1 gefahren. Dann waren wir auf dem großen Wassertaxi, das über den See fuhr, und dann wieder im normalen ‘taxi’.

Plötzlich stieg mir ein vergessen geglaubter Geruch von Weinreben, Wassersport und Weltkultur in die blonde Schnauze: Die Insel meiner Jugend! Wir waren dort, wo ich meine wilden Jahre verbracht, meine Ausbildung gemacht und Italienisch gelernt habe! Als wir das ‘taxi’ verließen, fand ich mich auf einmal mitten in einem Kindergarten wieder: Da waren Momo, Jenny und Doolin mit ihren Frauchen und zwei größeren Menschenwelpen.

Menschen nennt sich diese Tiergattung, die ich eigentlich eher Hauthinterpfötler oder abgekürzt Hinterpfötler nennen würde, da sie fast immer auf den Hinterpfoten laufen und nur am Kopf richtig viel Fell haben. Manchmal sehe ich auf den Hunderunden sogar Menschenrüden, die gar kein Fell haben.

Dann entdeckte ich zu meiner Freude ein altbekanntes Menschenweibchen: Doc Sue, meine Ausbilderin, und mit ihr kamen Popeye, Jazz und Ryan. Es wurde immer spannender und ich war ganz aufgekratzt! Ganz deutlich konnte ich riechen, dass die Frauchen Leckerlis in ihren Taschen vorrätig hatten. Sie sprachen mit lieben Stimmen und ich konnte ‚sed’ und ‚brava’ verstehen.

Langsam dämmerte mir, warum wir hierher gefahren waren: Weil ich als Mentorin eingeladen war, um dem akademischen Nachwuchs der ‚Uni Landgasse’ aus meinem langen und aufregenden Leben mit einem Sozialberuf zu erzählen. Von uns soll es nämlich in ganz Deutschland nur zwei- bis dreitausend geben. Das liegt anscheinend daran, dass manche der blinden und sehbehinderten Menschen uns Hunde nicht mögen oder in solchen Umständen leben, in denen sie keinen Hund halten können.

Aber es liegt auch daran, dass über unsere Arbeit und die Vorzüge eines Lebens mit uns noch zu wenig bekannt ist. Hinzu kommt, dass wir Führhunde noch viel zu oft gerade dort unerwünscht sind, wo wir von unseren Frauchen und Herrchen gebraucht werden: in Theatern, Schwimmbädern, Supermärkten, Arztpraxen oder Krankenhäusern. Wir sind sogar in Einrichtungen unerwünscht, die speziell der Erholung oder Bildung blinder Menschen dienen sollen. Das verstehe ich allerdings überhaupt nicht, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich ein Hund bin.

An diesem Nachmittag auf der Insel im großen See war ich nicht nur geduldet, sondern herzlich willkommen und wollte dem akademischen Nachwuchs klar machen, worin der Unterschied zwischen unserem Beruf und beispielsweise dem eines Polizei- oder Zollhundes lag. Es sollte bei diesem Besuch wahrscheinlich auch darum gehen, wie die theoretischen Aspekte der Führhundwissenschaft später in die Praxis umgesetzt und angewendet werden können. Also erteilte ich den Welpen und Junghunden als Erstes eine Lektion in zivilem Ungehorsam und nahm ohne Erlaubnis ein Bad im See.

Ziviler Ungehorsam ist ein gutes Stichwort: Wir Führhunde müssen nämlich selbst entscheiden können, ob wir einen Befehl ausführen oder lieber nicht. Der Mensch am Ende unseres Führbügels hat eine Gefahr vielleicht nicht richtig eingeschätzt und würde sich verletzen oder einen Unfall haben. Dann müssen wir selbstbewusst genug sein und beispielsweise vor einem Abgrund den Weg blockieren, auch wenn Frauchen nörgelt, dass sie endlich weiterlaufen will...

Nach meiner ersten Lektion für die angehenden Führhunde machten wir zusammen eine schöne Hunderunde, und die Studierenden absolvierten viele Übungen, die mir schlagartig wieder ins Gedächtnis kamen. So hab’ ich damals auch ausgesehen, als ich auf dem Mäuerchen sitzen und ‚resta’ machen musste, und nicht in den See springen durfte. Aber nicht, dass ihr jetzt denkt, mein unerlaubtes Bad, von dem ich eben erzählt habe, sei einer Art von Senilität oder Altersanarchie entsprungen. Nein – ich war schon immer so! Ihr könnt Doc Sue fragen, wenn ihr mir nicht glaubt.

Der Höhepunkt des Spaziergangs war der Besuch einer Kommune auf dem Land, in der Hasen und Hühner wild in einem Gehege zusammenlebten. Durch den Maschendrahtzaun konnte ich es genau beobachten. Erstaunlicherweise lebten sie harmonisch zusammen. Mein Frauchen sagt immer: „Wenn viele Menschen harmonisch zusammenleben, besitzen sie bestimmt eine Spülmaschine.“

Ich persönlich lehne es ab, dass mein Frauchen die Spülmaschine benützt. Ich fände es wesentlich Wasser sparender und umweltfreundlicher, wenn ich die Töpfe und Teller ablecken könnte. Stattdessen darf ich nur beim Gelben Sack helfen, wenn mal ein Joghurt- oder Quarkbecher ausgeschleckt werden muss. Frauchen begründet es damit, dass ganz viele der Nahrungsmittel für Menschen wie zum Beispiel Schokolade, Zucker, Gewürze oder Hülsenfrüchte für uns Hunde schädlich seien und sie deshalb auf meine Hilfsbereitschaft im Haushalt verzichten müsse.

Aber ich schweife schon wieder ab. So ist das halt bei den alten Hunden, die auf ein solch interessantes Leben zurückblicken können. Um also zu den Hühnern und Hasen zurückzukommen: Es war sehr faszinierend für mich zu sehen, wie der akademische Nachwuchs reagiert hat. Sie waren richtig cool, haben ‚resta’ gemacht und haben alle geforderten Übungen mit Bravour gemeistert. DocSue war ganz begeistert. Zumindest, soweit ich das beurteilen konnte. Denn leider sehe ich ja nicht mehr so gut. Der Graue Star. Der Tierarzt sagt, das käme vom Alter, aber ich bin da nicht so sicher. Wahrscheinlich hat mein Frauchen mich angesteckt. Aber sie hat ja noch mehr Augenkrankheiten, da darf ich mit nur einer nicht meckern. Ärgerlich ist, dass auch mein Gehör nachlässt und ich jetzt sogar Diätfutter fressen muss, weil ich mal eine Nierenentzündung hatte. Aber ab und zu krieg’ ich feine Leckerlis und hab’ sogar am Schluss von Doc Sues Unterrichtseinheiten von einem der Frauchen mit lieber Stimme kleine Stückchen Wienerle geschenkt bekommen. An so etwas kann ich mich noch lange erinnern…

Meine Vermutung ist ja, dass sich die Studierenden nur deshalb so gut benommen haben, weil ich sie mit meiner Weisheit und meiner Berufserfahrung tief beeindruckt hatte und sie sich vor mir nicht blamieren wollten. Ich hatte ihnen nämlich schon einige Tricks verraten und aus meinem Leben erzählt. Doc Sue war nach dem Ausflug so stolz auf ihre Studierenden, dass ich ihr nicht den Glauben an ihre pädagogischen Fähigkeiten rauben will. Sie ist nämlich immer noch so freundlich wie früher und trägt sogar noch dieselbe Frisur, die mich immer ein bisschen an Berry und Giovanni erinnert, meine ersten beiden Studienfreunde. An die beiden habe ich lange nicht mehr gedacht. Über Berry ist sogar mal ein Artikel in der ‚taz’ erschienen, hat richtig Karriere gemacht, der Gute! Er ist inzwischen im Ruhestand und hat sich in die Toskana zurückgezogen. Dolce vita. Wie schade, dass wir den Kontakt zueinander verloren haben. Sonst hätte ich ihn dort mal besuchen können. Ich reise nämlich gerne nach Italien, um meine Sprachkenntnisse aufzufrischen. Besonders gefällt mir, wenn die Italiener vor mir stehen bleiben und bewundernd ‚bella bionda’ sagen…

Der Rückweg von der Landkommune zum ‘taxi’ verlief ohne Zwischenfälle. Als ich mal ‚stacca grande’ musste, war es mir vor der Jugend etwas peinlich, so dass ich mich dezent ins Ried zurückzog. Zum Abschluss des Spaziergangs nahm ich noch einmal ein Bad im See – im Vorruhestand darf hund sich so was herausnehmen – dann raste ich mit einem irren Tempo über die Wiese, damit sie sehen konnten, wie fit und dynamisch ich noch war, und fühlte mich rundum pudelwohl! Was für ein schöner Ausflug!

Macht’s gut, meine Lieben, ciao und wuff!

1 Quelle: siehe Glossar im Anhang

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